Vortrag „Digitale Demenz“ – Manfred Spitzer
Klicken wir unser Hirn weg?
Auf Einladung der Gemeinde Hülben und im Rahmen ihres 125-Jahre-Kindergartenjubiläums kam der bekannte Hirnforscher Manfred Spitzer aus Ulm zu Besuch. Der Professor lockte mit seinem Vortrag und aktuellen Bestseller-Werk „Digitale Demenz“ rund 750 Zuhörer in die Rietenlauhalle. In einem über zweistündigen, informativen Vortrag zeigte er auf, das aus seiner Sicht, digitale Medien für Kinder und Heranwachsende als Lernmittel ungeeignet sind.
Zahlen, Fakten und teils erschreckende Ergebnisse zahlreicher Studien, nahmen die Besucher zum Thema „digitale Demenz“ von einem der bedeutendsten, deutschen Gehirnforscher mit nach Hause. „Wir haben kein Öl, das aus dem Boden sprudelt. Unsere Zukunft ist der Grips der nächsten Generationen. Wir sind dabei ihn zu vermüllen!“, warf der Direktor der psychiatrischen Uniklinik in Ulm und Gesamtleiter des Transferzentrums für Neurowissenschaften und Lernen seinen Zuhörern provokant vor den Latz.
Unsere Zukunft ist der Grips der nächsten Generationen
„Viel Prügel“ habe er für sein in elf Sprachen übersetztes Buch bekommen, verrät er. „Dass Sie heute so zahlreich erschienen sind, überwältigt und freut mich umso mehr“, begrüßte er die Zuhörer, die von Göppingen bis Freudenstadt in der Kolonne nach Hülben angereist kamen.
Computerspiele aktivieren Suchtzentren im Hirn
In seinem Buch „Digitale Demenz“ wendet Spitzer sich gegen die Initiative aus Politik und Industrie, alle Schüler mit Notebooks auszustatten und digitale Medien bereits schon im Kindergarten einzusetzen. „Kinder und Jugendliche verbringen mit digitaler Medienwelt schon mehr als doppelt so viel Zeit, wie in der Schule“, belegte er mit weltweiten Studien. So aktivierten Computerspiele beispielsweise gezielt Suchtzentren im Gehirn. Sein Fazit: „Die Kinder werden bereits im Kindergarten angefixt, das ist nicht witzig!“ Applaus im Saal ertönt.
Training heißt Benutzung. Das gilt auch für´s Hirn
Dass gesteigerter Fernsehkonsum bei Kindern (mehr als drei Stunden täglich) die geistige Entwicklung verlangsamt und sich radikal auf Bildung ausschlägt, belegte er mit Zahlen bis hinauf zum Uni-Abschluss, der von „Dauer-Guckern“ eben oft nicht erreicht werde. „In Deutschland schafft jedes 16. Kind den Hauptschulabschluss nicht. „Das sollte uns endlich zum (Nach-)denken anregen!“. Training heißt Benutzung. Das gilt auch für´s Hirn. „Was hängen bleibt, kommt darauf an, was Sie mit dem Wort im Kopf gemacht haben“. Emotionen, Erfahrung, (Sinn-)Erleben, Bewegung und das Begreifen mit den Händen, spielen beim Lernen eine enorme Rolle. Vertieftes Lernen und Wissen hinterlässt eine strukturelle Veränderung im Hirn, einen sogenannten „Trampelpfad“. „Zahlen, die später mathematisches Verständnis fördern, kommen mit bewegtem Fingerspiel schon mit fünf Jahren am besten ins Hirn“, erklärt Spitzer. Außerdem: „Diejenigen, die mehr direkt miteinander sprechen und diskutieren, sind in sozialen Beziehungen erfolgreicher“, weiß die Gehirnforschung. Besser also „face to face“ denn Facebook? „Unbedingt! Sozialverhalten und Empathie lernt man über Facebook nicht“, unterstreicht der Wissenschaftler, der damit viele gesellschaftliche Plattformen heiß laufen lässt. „Auch das soziale Gehirn wächst mit den Aufgaben“.
Fest steht für Spitzer ebenso: Wichtigster Einzelfaktor für Gesundheit ist Bildung. „Je fitter man mit 20 Jahren sprachlich unterwegs ist, desto fitter auch mit 70 und 80“, zeigen Studien. Alzheimer beispielsweise werde bei einem zweisprachig aufgewachsenen Menschen im Schnitt etwa fünf Jahre später festgestellt.
Multitasking funktioniert nicht wirklich
Schlechte Nachrichten gab´s für weibliche Geschöpfe im Saal. Stellt man bereits bei Mädchen eine höhere Neigung zu Multitasking fest, sind viele Frauen stolz darauf. „Die Meinung, man könne gut zwischen mehreren Aufgaben hin- und herspringen und brauche das für effektive Informationsverarbeitung, ist eine Selbsttäuschung. Multitasking funktioniert nicht wirklich und ist nichts, wozu man die nächste Generation ermuntern oder gar fördern sollte“. Spitzers goldene Regel lautet: „Je mehr im Hirn ist, desto mehr passt hinein“.
„Schaffen Sie sich Enkel an im Alter und schicken Sie Ihre Kinder in den Wald oder an den Strand, damit fördern Sie ihren Geist vielschichtig und auf hohem Niveau“, lautet Spitzers guter Rat für den Nachhauseweg.
Text und Fotografie: Patricia Kozjek