Cem Özdemir beim Neujahrsempfang in Hülben
Politiker mit ausländischen Wurzeln finden sich zwischenzeitlich in allen Parteien. Cem Özdemir war der Erste. Mit 18 Jahren nahm er die deutsche Staatsbürgerschaft an. Bereits 1994 zog der Sohn türkischer Eltern, wohnhaft in Bad Urach, für die Grünen in den Bundestag ein. Seine außergewöhnlichen Gaben in Sachen Politik scheinen dem „anatolischen Schwaben“, wie er sich selbst gerne bezeichnet, in die Wiege gelegt. Damit gilt der Ermstäler auch als Rollenmodell für junge Einwanderer. Wir haben uns mit ihm unterhalten.
Wir stellten dem Grünen-Politiker aus Bad Urach zehn Fragen in Hülben zum Thema „Heimat“:
Sie sind in Bad Urach geboren und aufgewachsen. Welche Kindheits-Erinnerungen hängen für Sie an der Stadt?
„Das Schöne an Bad Urach ist die Natur, die ich in meiner Kindheit als riesigen Spielplatz nutzen konnte. Ich merke, dass ich Bad Urach und die Schwäbische Alb wiederentdecke, je älter ich werde. Schwierig fand ich als Heranwachsender, dass das Kino irgendwann dicht machte“.
Haben Sie Schule und Ausbildung in der Kurstadt genossen?
„Die schulische ja, bis auf ein Schuljahr in Nürtingen. Meine Ausbildung zum Erzieher machte ich in Reutlingen und Freudenstadt. Später studierte ich in Reutlingen Sozialpädagogik an der Evangelischen Fachhochschule“.
Was bedeutet Heimat für Sie? Ist es ein Ort oder eher ein Gefühl?
„In erster Linie ist es meine Familie. Es sind die Orte der Kindheit und der Ort, an dem man das erste Mal ein Mädle geküsst hat. Ich habe viele Freunde in Bad Urach und verdanke vielen Menschen vieles dort. Das vergisst man nicht“.
Haben Sie sich mit Berlin als Wahlheimat und dem „heimisch werden“ schwergetan?
„Bei einer 70-Stunden-Woche kriegt man von Berlin selbst nicht viel mit. Hier verdiene ich meine Brötchen, meine politische Heimat ist dort, wo ich aufgewachsen bin. Ich bin immer noch viel in Baden-Württemberg. Da fühle ich mich heimisch“.
Was bedeutet Heimat für Ihre beiden Kinder und was möchten Sie Ihnen mitgeben?
„Das ist eine gute Frage, die ich ihnen einmal stellen muss. Sie wachsen jedenfalls mehrsprachig auf. Meine Frau (aus Argentinien) spricht mit ihnen spanisch, ich deutsch und meine Eltern türkisch. In der Schule sprechen sie Deutsch und Englisch. Zwei Dinge sollten Eltern ihren Kindern geben: Wurzeln und Flügel“.
„Wie sehen Sie die Entwicklung von Bad Urach und was wünschen Sie sich für die Stadt?“
„Dass sie sich in Zukunft gut gegen Metzingen behaupten kann. Vor dem Factory-Outlet-Boom kannten die Menschen eher Bad Urach statt Metzingen. Heute ist das umgekehrt. Das Besondere darf in Urach als Gewerbeort einfach nicht verloren gehen“.
Stichwort „Heimatpflege“ – was verstehen Sie darunter?
„Verantwortung für künftige Generationen übernehmen, die Natur pflegen und erhalten, die wir genießen dürfen. Man muss nicht hier geboren sein, um sich darum zu kümmern“.
Kann man zwei Länder als seine Heimat bezeichnen – das ihrer ethnischen Herkunft und das, in dem sie leben?
„Diese bereichernde Situation immunisiert stärker gegen Vorurteile. Man hat vielleicht eher das gewisse Gespür für andere, das Einleben in einem fremden Land macht weniger Probleme. Die Türkei wird für mich immer etwas Besonderes bleiben, Deutschland dagegen weiter die Nummer eins
Was verstehen Sie unter Identität?
„Sie setzt sich aus vielen Mosaiksteinen zusammen und ist oft bunt. Junge Menschen gehen heute ins Ausland, lernen andere Kulturen und Länder kennen. Das ist gut. Die Vielfalt ist eine große Chance miteinander umzugehen“.
Zum guten Schluss bitte noch zwei Sätze zum Thema „Integration“?
„Das Zauberwort Integration ist eine Worthülse, unter der jeder was anderes versteht. Mein Integrationsbeitrag war: Ich musste Hochdeutsch lernen“ (lacht).
Das Interview führte Patricia Kozjek.